… und ihre Umsetzung in der Ausstellung
Die Geschichte der deutschen Gebirgstruppen in den vier Kontingentsarmeen des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg, der formal verbotenen Gebirgstruppe der Reichswehr und schließlich der Wehrmacht bis 1939 ist Thema der zweiten von voraussichtlich vier Ausstellungen, die das Bayerische Armeemuseum gemeinsam mit der „Stiftung Deutsche Gebirgstruppe e.V.“ zur Geschichte der deutschen Gebirgstruppe dem Publikum präsentiert. Der auf etwa zehn Jahre gedachte Ausstellungsreigen reicht von den Anfängen deutscher „Gebirgler“ 1892 bis heute, wo Gebirgssoldaten im seit 1990 wiedervereinten Deutschland im Gebirgs- und Winterkampf ausgebildet werden und in den Bergen Afghanistans kämpfen – und fallen. Noch deutlicher als bei der ersten (2014 bis 2017) wird bei dieser Ausstellung die Absicht deutlich, die Pfade der gewohnten zeitlichen Begrenzungen militärgeschichtlicher Expositionen wie „1914 bis 1918“ oder „1933 [bzw. 1939] bis 1945“ zu verlassen, um neue Wege zu öffnen, eventuell sogar neue Interpretationen zu ermöglichen. Vor allem aber sollen auf diesem Wege Entwicklungs- und Lebenslinien, dabei ihre Kontinuitäten und Brüche herausgearbeitet werden. Die nächste, vorletzte also, Ausstellung – so bislang der Stand der Planung von 2017 – wird deshalb den Zeitraum von September 1939 (Kriegsbeginn) bis „1968“ als Symboljahr eines grundlegenden (nicht immer zum Besseren) gesellschaftlichen Wandels umspannen. Dieser Epochen-übergreifende Ansatz bietet nämlich die Möglichkeit, Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der „Biographie“ der Gebirgstruppe viel deutlicher herauszuarbeiten und für den Besucher plastischer und damit persönlich nachvollziehbarer zu gestalten als die „klassischen“ Einteilungen in die gewohnten, den Eindruck in sich abgeschlossener Schemata resp. Epochen vermittelnden historischer Expositionen. Denn: Politische Systeme ändern sich, Regierungsformen wechseln, Technik schreitet voran. Diese Variablen aber werden umklammert durch die „epochenübergreifende Konstante“ der Menschen, die in den jeweiligen politischen Systemen usw. (über)lebten.
Greifen wir dazu einmal einige bekannte Namen heraus, an denen dies deutlich wird, an denen der epochenübergreifende Ansatz sozusagen „personalisiert“ werden kann. Es waren Menschen, die in den einzelnen Zeitabschnitten unterschiedlich bewertet wurden bzw. werden – mit den entsprechend unterschiedlichen Konsequenzen:
Der Titel „Verheizt – Vergöttert – Verführt“ umreißt und beschreibt deshalb auch pointiert die drei so unterschiedlichen Phasen deutscher Geschichte, in denen deutsche Gebirgstruppe „stattfand“:
Der erste Abschnitt, schließt chronologisch unmittelbar an die Vorgänger-Ausstellung „Krieg in den Alpen – die Alpen im Krieg. Die Anfänge der deutschen Gebirgstruppe“ an, beginnt also Anfang Oktober 1915. Um die chronologische und inhaltliche Kontinuität optisch herauszustreichen, wurde für diesen Teil der Ausstellung das Design aus grobem, unbearbeitetem sägerauhem Holz beibehalten. Da sich die Uniformierung, Bewaffnung und Ausrüstung der Gebirgstruppe mit einigen Ausnahmen wie dem lMG 08/15 bis Kriegsende auch nicht wesentlich änderte, findet der Besucher natürlich das eine oder andere Exponat der alten Ausstellung auch in der neuen wieder. Das geht gar nicht anders. Selbstverständlich besteht die Masse der Exponate aus neuen Objekten. Um den harten, rustikalen Charakter des Gebirgskrieges zu unterstreichen, sind die großen Eichentüren der Kasematten dieses Mal mit Holzstämmen verkleidet: Sie sollen an Feldbefestigungen erinnern. Eine Ausnahme macht die 12. Isonzo-Schlacht. Das entsprechende Kasemattentor wurde mit einer entsprechend großen Nachbildung des Buchdeckels desjenigen Bandes der Reihe „Schlachten des Weltkriegs“, das (bzw. die, denn dem „Wunder von Karfreit“ widmete das Reichsarchiv zwei Bände) kaschiert, der über diese Schlacht berichtet.
Das Kriegsende im November 1918, der Sturz der Monarchien, die bürgerkriegsartigen Kämpfe bis 1923, die neue Staatsform der
Demokratie, all das war ein radikaler, ein revolutionärer Bruch mit der „guten alten Zeit vor anno 14“. Praktisch von einem Tag auf den anderen fanden sich die Menschen in einer neuen Welt wieder.
Diesen schockartigen Bruch mit nahezu allem bisher Gewohnten soll auch die Ausstellungsgestaltung widerspiegeln. Konnte man bei der alten Gebirgstruppen-Ausstellung von der ersten Kasematte an noch
alle anderen bis zum Ende der Ausstellung überblicken, ist dies jetzt nicht mehr möglich. Zwei übermannsgroße Sichtblenden versperren die ungehinderte Durchsicht in die „Weimarer Republik“ und die
Reichswehr und zwingen den Besucher zu einer kleinen Schleife (die auch für Rollstuhlfahrer natürlich kein Hindernis ist). Genauso plötzlich wie die Menschen 1918/19 befindet sich auch der
Museumsgast jetzt einer neuen Zeit. Die nach wie vor sägerauhen Panele sind jetzt im Dreifarb-Buntanstrich der Reichswehr gestrichen. Dieser Anstrich war bereits gegen Ende des Krieges eingeführt
worden. Die Armee der Republik hatte aber, im Gegensatz zur heutigen Bundeswehr, ein außerordentlich zwiespältiges Verhältnis zum neuen Staat und seiner Regierungsform einer parlamentarischen
Demokratie. Sie verstand sich bewusst als überparteilich, weit ab vom parteipolitischen Alltag. Sie diente dem Deutschen Reich als Staat an sich, unabhängig von seiner Staatsform. Daher verstand sie
ihren Auftrag nicht darin, die Demokratie und ihre Werte vor ihren Feinden zu schützen. Mental sahen sich ihre Offiziere in jener untergegangenen „guten alten Zeit“ des Kaiserreiches verwurzelt.
Diesen Zwiespalt soll die Verkleidung der „Reichswehr-Kasematte“ symbolisieren. Das Tor wird durch zwei deutsche Staatsflaggen verdeckt, die, diagonal getrennt, zu einer verschmelzen:
schwarz-rot-gold für die demokratische Republik und schwarz-weiß-rot für das autokratische Kaiserreich bis 1918. Davor eine Offiziers-Figurine in einer Vitrine. Die Spiegelungen der „geteilten“
Flagge lassen zudem die eine Hälfte in die andere optisch ineinander übergehen und verstärken damit noch den Eindruck der geistig-mentalen Spaltung der Reichswehr.
Die Ausstellung
Auch „1933“ war ein Bruch – ein Bruch, wie er in seiner Konsequenz nicht brutaler und im Wortsinn tödlicher sein konnte: Von der mittlerweile bei der Mehrheit des deutschen Wahlvolkes diskreditierten Republik, die in Armut, Arbeitslosigkeit und Anarchie zu versinken drohte, hin zu einer rechtsextremen rassistischen Einparteien-Diktatur des Führerstaates. Die Reichswehr – ab 1935 „Wehrmacht“ – aber sah sich zunächst befreit von ihren bisherigen, nicht mehr ganz so strengen Fesseln von 1919. Es winkten glänzende Karriereaussichten. Vergessen wir nicht: 1933 waren „Auschwitz“ und der Holocaust noch undenkbare Zukunft – wenngleich das neue Regime von Anfang an politisch Andersdenkende, Juden und andere Minderheiten ausgrenzte und verfolgte. Die breite Masse der Bevölkerung profitierte zunächst vom neuen System. Die gewaltlos gewonnenen „Blumenkriege“ hoben das Image der Streitkräfte immens. Auch die Armee selbst änderte sich. Loyale Anhänger des Nationalsozialismus übernahmen die Führung. In der Truppe selbst blieb Parteipolitik, auch nationalsozialistische (andere Parteien gab es ohnehin nicht mehr), immer noch verboten. Da „1933“ ebenfalls einen Bruch darstellt, muss der Ausstellungsbesucher erneut eine Kurve machen, um von der Reichswehr der Republik zur Wehrmacht der Diktatur zu gelangen. Die gleiche Anordnung sehr ähnlicher Blenden wie beim Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik sollen ihm erneut den drastischen Beginn einer neuen, in seiner tödlichen Brutalität noch nicht erkennbaren Epoche nahe bringen. Die Paneele sind jetzt im einheitlichen Wehrmachtsgrau gehalten.
Offiziersehre und Widerstand
Das Reiterregiment 17 (Bamberger Reiter) und die Wurzeln des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944
Offiziersehre und Widerstand
anlässlich der Eröffnung der Ausstellung am 25.November 2014 im Reduit Tilly hat Generalmajor a.D. Berthold Schenk Graf von Stauffenberg das folgende erhaltenswerte
Grußwort gesprochen.
Anrede
Gleich wird hier Dr. Reiß den Raum für die ständige Ausstellung eröffnen, die zeigen soll, wie Offiziere des ehemaligen (Bayerischen) Reiter- und Kavallerieregiments 17 sich dem Gewissenskonflikt gestellt haben, in den sie Pflicht, Gehorsam und ihre soldatische Ehre gestellt haben und der sie schließlich in den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime geführt hat – eine Entscheidung, die jeder für sich treffen musste. Ihr Regiment hat als einziges bayerisches Kavallerie-Regiment nach dem 1. Weltkriege die Tradition der zwölf Königlich-Bayerischen Kavallerieregimenter und damit einer Jahrhunderte langen Geschichte fortgeführt. Diese spiegelt das Schicksal Bayerns im alten römischen Reich deutscher Nation, im Rheinbund, im Deutschen Bund und im Deutschen Reich von 1871 getreulich wider, eine Geschichte der Pflichterfüllung im Dienste der Politik, ihrer Erfolge wie ihrer Fehler und Niederlagen. Dieser Geschichte waren sich die 17er Reiter und ihre Kommandeure stets bewusst, und ihre Ausbildung und Erziehung war davon geprägt, in den kargen Zeiten der Reichswehr wie im Zuge der Heeresvermehrung, die vieles, was ethische Tradition war, zu verwässern drohte, und schließlich, als sie in einem verbrecherischen Regime in einen Krieg geführt wurden, der unser Vaterland ins Unglück und in die Zerschlagung geführt hat und das den Namen unseres Volkes besudelt hat.
Dass wir auf diese Zeit nicht ausschließlich voll Scham zurück blicken müssen, verdanken wir einigen, allzu wenigen, vor allem Soldaten, die die Befleckung ihrer Soldatenehre und der Ehre des deutschen Volkes nicht hinnehmen und die Majestät des Rechts wieder auf den ihr zukommenden Platz als oberste Instanz unseres Staatswesens setzen wollten. Formal ist ihre Aktion, die in dem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 und dem Versuch des Staatsstreichs kulminierte, gescheitert, und die meisten von ihnen mussten in der Folge ihr Leben lassen. Andere haben zwar überlebt, mussten aber Haft und Quälereien erdulden. Umsonst war ihre Tat dennoch nicht, denn sie hat bezeugt, dass es in Deutschland nicht nur Verbrecher und Mitläufer gab, sondern auch Aufrechte, die sich mit den Verbrechen nicht abfinden wollte. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, dass unser Volk wieder in den Kreis der Nationen aufgenommen wurde, ja, dass sich die Deutschen wieder in den Spiegel sehen konnten. Es hat nach dem Kriege einige Zeit, zu lange, gedauert, bis diese Erkenntnis nicht mehr umstritten war. Allzu viele, die sich vorher geduckt hatten, haben nachher versucht, ihr schlechtes Gewissen durch abfällige Bemerkungen zu verdecken.
In der Geschichte des militärischen Widerstands gegen Hitler und die Nationalsozialisten spielt das Reiter-Regiment 17 eine herausragende Rolle. Nur ein anderes Regiment, das preußische Infanterie-Regiment 9 in Potsdam, hat eine vergleichbare Anzahl von Widerstandskämpfern hervorgebracht, und nicht zufällig war auch es Träger einer ganz alten Tradition, der der preußischen Garde. Fünf aus dem Reiter-Regiment 17 hervorgegangene Offiziere mussten für ihren Einsatz gegen Hitler ihr Leben lassen, andere haben nur mit Glück überlebt. Dass sie bereit waren, das höchste Opfer, das ihres Lebens, zu bringen, war mit Gewissheit Ausfluss dessen, was sie in ihren jungen Jahren in Bamberg, Ansbach und Straubing geprägt hatte. Zu Recht stehen sie deshalb im Mittelpunkt dieser Ausstellung.
Dabei wollen wir aber diejenigen nicht vergessen oder übersehen, die getreulich in Frieden und Krieg ihre Pflicht getan haben, ohne dabei ihre ethischen Soldatenpflichten zu verletzen, obwohl sie sich nicht im Widerstand engagiert haben. Mehr als 2700 Angehörige des Regiments und der aus ihm hervorgegangenen Truppenteile sind gefallen oder vermisst. Aber kein Angehöriger des Regiments ist nach dem Kriege wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden.
Dieses Regiment war deshalb etwas Besonderes, das es von den Hunderten anderer im 2. Weltkrieg unterscheidet. Damit das Andenken an dieses besondere Regiment und seine herausragenden Angehörigen nicht untergeht, haben Überlebende und ihre Nachfahren, auch Angehörige der Truppenteile der Bundeswehr, die Traditionen des Regiments gepflegt haben - diese sind inzwischen auch alle den verschiedenen Strukturwandeln zum Opfer gefallen - die nichtselbständige Gedächtnisstiftung Ehem. RR 17 gegründet. Inzwischen – fast 70 Jahre seit Kriegsende – sind es fast nur noch Nachfahren, und so ist es sicher nicht nur mir eine ganz besondere Freude, dass einer der letzten Überlebenden und der letzte überlebende Offizier des Regiments, S. D. der Fürst von Castell-Castell, hier unter uns weilt. Sein Vater und sein älterer Bruder gehören ja zu den Gefallenen des Regiments.
Bamberg war hauptsächlicher Standort des Regiments und nach der Zusammenführung mit den Teilen in Ansbach und Straubing der einzige. Zu unserem Bedauern war es nicht möglich, dass das Regiment dort eine Ausstellung findet. Um so dankbarer waren wir, dass sich Dr. Aichner als Direktor des Bayerischen Armeemuseum seinerzeit bereit erklärt hat, den Fundus der Erinnerungsgegenstände des Regiments hier aufzunehmen, zu betreuen und auszustellen. Zugleich hat er auch für die Gedächtnisstiftung die Geschäftsführung übernommen, wofür wir, die wir keinen bürokratischen Apparat haben, nicht dankbar genug sein können. Diese Aufgabe hat sein Nachfolger Dr. Reiß fortgeführt, und dafür gebührt auch ihm unser Dank. Hier in Ingolstadt wird ja nicht nur das Andenken an die Königlich Bayerische Armee und ihre Vorgänger, sondern an das Militär in Bayern insgesamt gehegt und gepflegt, und so sind wir hier richtig.
Unser herzlicher Dank gilt auch dem Bayerischen Staatsministerium Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, sowohl dem seinerzeitigen Minister Dr. Thomas Goppel wie auch seinem heutigen Nachfolger Dr. Ludwig Spaenle, die unsere Bemühungen immer nachdrücklich unterstützt haben.
Danken darf ich Frau Dr. Martina Metzger, die die Ausstellung mit Liebe vorbereitet hat, nachdem sie sich erst in die ihr vorher noch ganz fremde Materie des Militärs einarbeiten musste, Die Ausstellung wäre aber nicht möglich gewesen, hätte uns nicht unser Vorstandsmitglied Herr Horst van Cuyck mit einer ausßerordentlich großzügigen Spende bedacht. Es erfüllt uns mit großer Trauer, dass er den heutigen Tag nicht erleben durfte, und um so mehr freuen wir uns, dass seine Witwe, Gräfin Caroline Arco-Zinneberg heute hier bei uns ist.
Nun danke ich Ihnen, dass Sie heute hierher gekommen sind und wünsche Ihnen, dass Sie den Besuch der Ausstellung als Gewinn empfinden. Leider sind wir, nicht zuletzt wegen der laufenden Baumaßnamen im Museum, im Augenblick noch räumlich beengt und sehen sie so nur als einen ersten Schritt an.
Als weitere Leseproben folgen die Seite 17 des Begleitkataloges.